
Kunst, Kreativität und kühne Visionäre
Die Prinzregentenstraße in München zeigt auf ihren ersten fünfhundert Metern die beeindruckende Vielfalt der Landeshauptstadt: Moderne Kunst, Nachtleben, Laissez-faire. Hinter Hausnummer Drei verbergen sich aber besondere Schätze – herausragende Werke von der Spätantike bis zum Jugendstil. Das Bayerische Nationalmuseum, das hier seit der Gründung durch König Maximilian II. im Jahr 1855 residiert, zählt zu den bedeutendsten kunst- und kulturhistorischen Museen Europas. Hinter den Mauern des prächtigen Baus wird europäische Kulturgeschichte in Bayern gezeigt. Ein besonderer Schwerpunkt: die Sammlung von Nymphenburger Porzellan aus dem Besitz des Hauses Wittelsbach. Diese Originale aus dem 18. Jahrhundert haben trotz ihrer Zerbrechlichkeit die Zeit überdauert, und geben Einblick in eine Epoche, in der höfischer Repräsentationsanspruch und kunsthandwerkliche Meisterschaft eng miteinander verbunden waren. In jedem Objekt sind präzises Handwerk, außergewöhnliche Kreativität und Symbolkraft zu bewundern.
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FREMD UND FASZINIEREND
Porzellan war ein Novum, eher schon eine Sensation im Europa des 18. Jahrhundert. Niemand wusste genau, wie das weiße Gold, dieses glänzende, lichtdurchlässige Importwunder aus China, überhaupt entsteht. Nur sehr wenige Stücke, dafür umso mehr Legenden überstanden den langen Seeweg aus Asien. Der Entdecker Marco Polo hatte den feinen Gefäßen den Namen porcellana gegeben, eigentlich die Bezeichnung des Gehäuses der Kaurischnecke. Brauchte man also diese Tiere, um den feinen Scherben herzustellen? Alles war ein Abenteuer: die richtigen Rohstoffe zu finden, das Brennen bei extrem hohen Temperaturen, das präzise Glasieren und Bemalen. Und doch war die Begehrlichkeit so groß, dass in dieser Epoche Alchemie, Geduld, Genialität und Handwerkskunst zusammenkamen, um dem Arkanum, dem Geheimnis um die Fertigung des weißen Porzellans, auf die Spur zu kommen.
Es ist faszinierend, was in dieser Zeit unter erschwerten Bedingungen geschaffen wurde: filigrane Figuren, hauchdünnes Geschirr und prunkvoll bemalte Vasen – jedes Stück ein kleines Wunder an Kunstfertigkeit und Präzision. Wenn man einige dieser heute noch erhaltenen Werke betrachtet, kann man nur staunen.
Jedes Objekt ist nicht nur ein Zeugnis vergangener Zeiten, sondern auch ein eindrucksvolles Beispiel für Kreativität und Wagemut.
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MEISTER DER FINESSE
Unter Porzellan-Aficionados wird ein Name besonders ehrfurchtsvoll genannt: Franz Anton Bustelli, Meister des Rokoko und gefeierter Figurenformer der Porzellan Manufaktur Nymphenburg. Der gebürtige Schweizer schuf zwischen 1754 und 1763 rund 150 Modelle – darunter Marktfrauen, Heilige und Adelige. Sein Hauptwerk aber sind die 16 Figuren der Commedia dell’ Arte.
Die kunstvoll gestaltete Gruppe zählt zu den Höhepunkten europäischer Porzellankunst. Mit feinem Gespür für Bewegung und Ausdruck sowie einer gehörigen Portion Witz bringt Bustelli das italienische Stegreiftheater auf eindrucksvolle Weise in Porzellanform. Jede der Figuren wirkt lebensnah, die Kleidung scheint zu schwingen und die Blicke erzählen von Ränkespielen und einer Liebesgeschichte, in deren Mittelpunkt das Paar Isabella und Octavio steht.
Nur im Bayerischen Nationalmuseum ist ein vollständiges und hervorragend erhaltenes Ensemble dieser außergewöhnlichen Figuren zu sehen. -
Photo Credit: Bastian Krack

Photo Credit: Bastian Krack

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ZEICHEN DER ZUNEIGUNG
Die Liebe ist ein seltsames Spiel, das galt auch im 18. Jahrhundert. Die Geschichte von Isabella und Octavio wird in der Commedia dell’ Arte immer wieder anders erzählt, basiert jedoch grundsätzlich auf dem Narrativ einer Liebschaft mit Hindernissen. Die Innamorati Isabella und Octavio machen ihre Gefühle füreinander subtil mit Blicken und Gesten deutlich.
Isabellas Körpersprache verrät dabei innere Zerrissenheit: Während sie leicht zurückweicht, bleibt ihr Blick auf Octavio gerichtet. Ihre linke Hand mahnt „adagio“ – er solle es langsam angehen. Die rechte deutet einen Ring an – ein dezenter Hinweis, dass sie eine ernsthafte Verbindung möchte. Ihr Auserkorener Octavio antwortet mit einer Kusshand „adoro“, ein Ausdruck tiefer Bewunderung. Mit seinen eng gestellten Beinen, dem geneigten Oberkörper und der linken Hand in der Westentasche wirkt er dabei beinahe rührend schüchtern.
Isabellas und Octavios Kleidung in korrespondierenden Farben unterstreicht die Harmonie. Sie trägt eine „robe à l’anglaise“ mit eng anliegendem Oberteil, großem, eckigen Ausschnitt, schmaler Taille und einem weiten Rock. Ihre makellose schneeweiße Haut zieren Schönheitsflecken, sogenannte „mouches“. Der schwarze Punkt neben dem Mund ist ein Code für ihre Flirtbereitschaft. Octavio erscheint in seinem „habit à la francaise“ mit Justaucorps, Culotte und Weste als Inbegriff des galanten Herren des 18. Jahrhunderts.
Es ist nachhaltig beeindruckend, wie es Bustelli mit diesem Paar gelingt, innere Konflikte und leise Emotionen in Porzellan zu übersetzen.
PIONIER DES NEOKLASSIZISMUS
Der in Böhmen geborene Domenikus Auliczek d. Ä. ist viel herumgekommen – und das sieht man seinen Werken auch an. Nach seiner Bildhauerlehre machte er in Wien, Paris und Rom Station, bis er 1762 nach München kam und als Modelleur für die Porzellan Manufaktur Nymphenburg arbeitete. Hier entstand neben zahlreichen Gartenskulpturen, die noch heute im Schlosspark zu bewundern sind, auch der aufwendig gestaltete Tafelaufsatz mit den vier Weltteilen.
Opulenz und feine Beobachtungsgabe verschmelzen zu einem Objekt, das die bekannten Kontinente des 18. Jahrhundert abbildet. Inspiriert vom Vier-Ströme-Brunnen Gianlorenzo Berninis, den Auliczek während seiner Studienzeit in Italien kennenlernte, zeigen sich hier vier Erdteile als thronende Figuren auf felsartigen Sockeln, jeweils von charakteristischen Tieren umgeben. Gerade in diesen kleinen, liebevoll modellierten Tierfiguren offenbart sich die ganze Raffinesse des Tafelaufsatzes: Löwe, Krokodil, Elefant oder Papagei wirken, als könnten sie jeden Moment über den Tisch schreiten oder gleiten.
Formal erinnert der Tafelaufsatz an die aufwendigen Tischbrunnen, die im 18. Jahrhundert zu festlichen Anlässen Wein oder duftendes Wasser spendeten – und mit Fantasie und technischer Raffinesse jeden noch so hochkarätigen und weitgereisten Gast zum Staunen brachten.

Photo Credit: Bastian Krack

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Photo Credit: Walter Haberland

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HANDWERKSKUNST IN VOLLENDUNG
Wahrhaft himmlisch ist die Komposition, die Dominikus Auliczek als Tafelaufsatz um 1770 modellierte. Flora, die Göttin der Blumen, und Amphitrite, Herrscherin der Meere, bilden eine Doppelgruppe, die zu seinen eindrucksvollsten Arbeiten zählt. Gestalterische Fantasie und technische Meisterschaft im Umgang mit Porzellan sind hier vereint.
Die griechischen Göttinnen, Putten, Blüten und Muscheln beeindrucken mit ihrer Leichtigkeit. Alles scheint zu fließen und zu schweben. Dahinter steckt jedoch eine hochkomplexe Arbeit: Porzellan neigt beim Trocknen zum Reißen, es schrumpft beim Brand und reagiert empfindlich auf kleinste Glasurfehler. Besonders bei großformatigen Figuren mit filigranen Details und asymmetrischen Elementen war das Risiko eines Fehlschlags hoch.
Dass es Auliczek dennoch gelang, diese Gruppe in einem Stück und in perfekter Ausführung zu brennen, ist Ausdruck höchster Kunstfertigkeit. Ohne maschinelle Hilfsmittel, allein mit Erfahrung, ruhiger Hand und präziser Planung schuf der brillante Modelleur ein Werk, das bis heute fasziniert.
EIN DEKOR DER SUPERLATIVE
Artenvielfalt und Opulenz sorgen für Ahs und Ohs bei Tisch – und das seit zwei Jahrhunderten. Das Münchner Hofservice der Porzellan Manufaktur Nymphenburg gehört zu den kostbarsten Zeugnissen höfischer Tafelkultur des Rokoko. Entstanden um 1760, wurde es mit seinem prachtvollen Blumen- und Schmetterlingsdekor, eingefasst von einer üppigen Goldbordüre, 1765 zum ersten Churfürstlichen Hofservice erhoben – geschaffen zu Ehren von Kurfürst Max III. Joseph, dem Gründer der Manufaktur. Noch heute wird das Service in unseren Werkstätten unter dem Namen Cumberland hergestellt und sorgt auch in modernen, minimalistischen Settings für Grandezza.
Jedes Stück dieses Services ist ein Unikat: Kein Blumenbouquet gleicht dem anderen, kein Schmetterling wiederholt sich. Diese Vielfalt ist kein Zufall, sondern Teil der künstlerischen Handschrift. Verantwortlich für diese Pracht war ursprünglich Porzellanmaler Joseph Zächenberger, der vor allem auf Blumen spezialisiert war und vor 250 Jahren mit seinen farbintensiven und delikaten Bildern Porzellan und Palais verschönerte.
Technisch wie gestalterisch war dieses Service eine Meisterleistung. Noch heute gilt Cumberland als das aufwendigste Blumendekor, das je auf Porzellan übertragen wurde – ein wahres Feuerwerk aus Farben, Formen und naturgetreuen Details.
Noch immer gestalten die Malerinnen und Maler der Nymphenburger Manufaktur jedes Dekor ohne feste Vorlage, aber mit viel Gespür für Flora, Fauna und Finesse. Diese künstlerische Freiheit hat Tradition und verleiht jedem Stück seinen eigenen, unverwechselbaren Charakter.

Photo Credit: Bastian Krack

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PERL-SERVICE
Perlservice Modelle von Dominikus Auliczek d. Ä., 1792–95 Porzellanmanufaktur Nymphenburg, um 1795
Auf Bestellung des bayerischen Kurfürsten Karl Theodor schuf Auliczek zwischen 1792 und 1795 ein umfangreiches Tafelservice. Es markiert in der Nymphenburger Geschirrproduktion die späte Wende zum Klassizismus. Dabei gelang Auliczek ein großer Wurf. Erstmals basieren Geschirrteile auf einem Zwölfeck statt des herkömmlichen Rund oder Oval. Elegant wirken der plastische Perlrand und der zurückhaltende Dekor mit idyllischen Grisaille-Landschaften in Medaillons. Am bayerischen Hof findet man den frühklassizistischen Entwurf so schick, dass er bis 1900 allein dem Kurfürsten vorenthalten bleibt.
Von dem Service sind rund 350 Teile erhalten.
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